Chronik
Der Athletenverein „Germania“ Sulgen kann in diesem Jahr auf eine 100-jährige, überaus bewegte und ruhmreiche Vereinsgeschichte zurückblicken. In dieser langen Zeit durchlebte er mehrere Höhen und Tiefen, sowie Trauer und Tragik. Mit Begeisterung, viel Herzblut und ehrenamtlichem Engagement wurden viele Erfolge im Ringen, Gewichtheben und Rasenkraftsport errungen. Die Veränderungen der Umwelt und der Technik machten auch bei den Sportvereinen nicht halt. So wandelte sich der einstige Athletenverein mit mehreren Sparten in den vergangenen 40 Jahren zu einem reinen Ringerverein. Zwar wurde 1988 eine Damenabteilung aus der Taufe gehoben, doch wettkampfmäßig sind nur noch die Ringer aktiv.
Am 21.April 1905, einem Karfreitag, wurde der Athletenverein im Gasthaus „Festung“ bei Matthäus Storz gegründet. Allerdings hatte es bereits 1887 schon einmal einen Athletenverein in Sulgen gegeben, der aufgrund von Unstimmigkeiten zwei Jahre später wieder aufgelöst wurde. Damit war das Interesse am Athletensport aber keineswegs erloschen. Die Gebrüder Josef und Johannes Allgaier arbeiteten in einer Schwenninger Uhrenfabrik und lernten bei den dortigen Athleten Ringen, Stemmen und das Werfen mit Rundgewichten, das damals eine beliebte Disziplin war. Nach dem Tod von Josef Allgaier zog Bruder Johannes wieder nach Sulgen und gründete den Sulgener Athletenclub, wie er damals hieß. Als Gründungsmitglieder trugen sich am 21.April 1905 ins Vereinsbuch ein: Johannes Allgaier, Raimund Effinger, Albert Ohnleiter, Matthäus Storz, Eugen Storz, Hugo Kern, Ferdinand Fix, Karl Armbruster, Wendelin Flaig und Gustav Neef. Der Verein wuchs stetig und bald wurden bei Wettkämpfen Preise erkämpft. Als Übungslokal diente der Heuschuppen vom Festungswirt an der Hardtstraße. In primitivster Weise wurde Ringen und Gewichtheben trainiert. Im Winter konnte nicht geheizt werden und als Licht dienten Stalllaternen. Bereits im Juli 1910 richteten die Sulgener Athleten die Gaumeisterschaften aus und holten vor heimischer Kulisse den ersten Platz in der Rundgewichtsriege. Die Meisterschaften wurden mit der Weihe der Fahne verbunden.
Die folgenden Jahre verliefen außerordentlich erfolgreich, ehe 1914 der Erste Weltkrieg ausbrach. Es dauerte nicht lange und der gesamte Trainingsbetrieb ruhte nahezu vollständig. Mit dem Verlust von sechs Athleten begann 1919 der Neuaufbau und bald pulsierte wieder reges Vereinsinteresse. Das Übungslokal wechselte in den leeren Schulsaal im Rathaus, wo dreimal in der Woche trainiert wurde. Als eines der erfolgreichsten Jahre ging das Jahr 1923 in die Vereinsgeschichte ein, als die Musterriege wiederum in Sulgen Gaumeister und die Gewichtheber gleichzeitig Gau- und Kreismeister wurden. Damit hatten sich die Heber für die deutsche Meisterschaft qualifiziert und mussten gleich in der ersten Runde gegen den späteren Deutschen Mannschaftsmeister KV Mannheim antreten. Während der Vorkampf deutlich verloren wurde, scheiterten die Sulgener im Rückkampf zu Hause lediglich an 17,5 Kilogramm, um eine Runde weiter zu kommen. Es war wohl die Ironie des Schicksals, als ausgerechnet am 20.April 1945 zum 40.Bestehen die Franzosen in Sulgen einmarschierten und damit jede Vereinstätigkeit endete. Alle Sportvereine wurden aufgelöst. Erst am 30.August 1947 durften sich die Athleten, Turner, Fußballer und Radfahrer zu einem Großverein zusammenschließen. Der Neubeginn war schwierig und mühsam. Als 1950 die Athleten ihre Selbständigkeit erlangten, konnte eine neue Ringermatte angeschafft werden. Allmählich stellten sich wieder Erfolge im Gewichtheben, Ringen und Tauziehen ein. Ein weiterer Höhepunkt in der Vereinsgeschichte war das 50-jährige Jubiläum 1955, verbunden mit der Ausrichtung des Bezirksfestes.
Im gleichen Jahr ging ein lang ersehnter Wunsch in Erfüllung. Die Lochschmiede in der Mariazeller Straße wurde käuflich erworben. Jetzt konnte zu jeder Zeit trainiert werden. In der Folgezeit wurden besonders im Gewichtheben und Ringen viele Medaillen erkämpft. Als besonderes Talent in beiden Disziplinen machte sich Walter Hettich bald einen Namen. Er wurde im Jubiläumsjahr in Rottweil erstmals Württembergischer Meister im Gewichtheben des Federgewichtes. Erfolgreichster Gewichtheber im Verein war jedoch Albert Schmid, der als 48-Jähriger 1961 Deutscher Meister im Leichtgewicht wurde. Im 60.Jahr des Bestehens, also 1965, wurde die Gewichthebermannschaft Württembergischer Vizemeister in der Verbandsliga. Bald darauf fiel sie jedoch auseinander, als einige starke Heber von Sulgen wegzogen. Unverändert wurde im Ringen weiter um Punkte gekämpft. Es dauerte immerhin bis zum 8.Dezember 1973, als es erstmals für die Sulgener Ringer einen Meistertitel gab. „Hurra, wir sind Meister“, schrieb der heute immer noch unvergessene, langjährige Gewichtheber und Funktionär Josef Dierberger, ins Protokollbuch.
Die Euphorie hielt jedoch nicht lange an, denn neben den zwei Weltkriegen ruhte der Sportbetrieb auch zwischen 1977 und 1980. Aus Mangel an aktiven Ringern konnte keine Mannschaft mehr zu den Verbandskämpfen gemeldet werden. Damit erlebten die Ringer mitten in den Feierlichkeiten zum 75. Bestehen 1980 einen sportlichen Tiefpunkt. Doch Siegfried Schmid, Walter Hettich und Alois Hermann, drei ehemalige aktive Ringer, sahen dies als neue Chance, resignierten nicht und konnten durch ihr stetiges Bemühen wieder junge Burschen für den Ringkampfsport begeistern. Besonders Walter Hettich hat es der Athletenverein zu verdanken, dass es ihn heute noch gibt. Bereits 1981 zeigten sich die Früchte der Jugendarbeit. Ein neuformiertes Team aus überwiegend Jugendringern bestand die Feuertaufe in einem Freundschaftskampf gegen den TSV Frommern bestens und gewann völlig überraschend gegen die Balinger Vorortringer mit 25:11 Punkten. Im Aufgebot standen damals: Karlheinz Preuss, Rolf Meier, Frank Hermann, Joachim Sülter, Klaus-Peter Weißer, Bernhard Lamprecht, Christian Thieme, Peter Juretzka und Herbert Jähn. Kurz darauf wurde mit einer aktiven Mannschaft in der Aufbauklasse ein Neuanfang gestartet. Es sollte der Beginn einer beispiellosen Erfolgsgeschichte werden, die zum 100. Geburtstag einen vorläufigen Höhepunkt erreicht hat.
Fortan waren Trainingsfleiß, Kameradschaft und Mannschaftsgeist die Garanten für sportlichen Erfolg. Schon zwei Jahre später gelang der Aufstieg in die Bezirksklasse. Nach vier Jahren in dieser Klasse wurde 1986 erneut eine Meisterschaft gefeiert und der Aufstieg in die Bezirksliga war perfekt. Kurz darauf knüpften der inzwischen verstorbene Altaktive Alois Hermann und wiederum Walter Hettich Kontakte zu Lothar Herzog, der im Mai 1975 den Athletenverein Sulgen in Richtung AB Aichhalden verlassen hatte und mit dem Lokalrivalen viele Erfolge als Ringer und Trainer feierte. Lothar Herzog konnte zunächst als Trainer verpflichtet werden, ein Jahr später schnürte der „verlorene Sohn“ auch die Ringerstiefel für seinen Heimatverein. Es entwickelte sich ein regelrechter Ringerboom in der Bergvorstadt, oft musste aufgrund der hohen Anzahl Aktiver auf zwei Matten trainiert werden. Dieses Potential machte es möglich, dass 1987 erstmals mit zwei aktiven Mannschaften in die Verbandsrunde gestartet wurde. Schon ein Jahr später hatten die Sulgener doppelten Grund zum Jubeln. Die erste Garnitur erreichte zwar „nur“ Rang drei in der Bezirksliga, doch als bester württembergischer Verein stieg der AV Sulgen erstmals in seiner Vereinsgeschichte in die Württembergische Landesliga auf. Die „Reserve“ schaffte den Aufstieg von der A-Klasse in die Bezirksklasse. Dies wurde im Gasthaus „Unot“ gebührend gefeiert. Die junge Mannschaft, die sich in technischer Hinsicht prächtig entwickelt hatte, schaffte ohne Verstärkung auf Anhieb als Neuling in der Landesliga einen dritten Rang in der Abschlusstabelle. Unvergessen dabei die packenden Lokalderbys mit dem AV Hardt, die die Zuschauer in Scharen anzogen. In den Folgejahren stießen immer wieder neue Ringer aus den eigenen Reihen sowie von benachbarten Vereinen zu den Sulgenern hinzu, aber auch von Abgängen blieb man nicht verschont. Im Januar 1991 verhinderte der AV Sulgen in einem echten Ringerkrimi gegen die TSG Backnang den drohenden Abstieg. Mit 39,5:38,5 Punkten hatten die Bergvorstädter in zwei packenden Relegationskämpfen das bessere Ende für sich. Ein Jahr später folgte trotzdem der Abstieg in die Bezirksliga, die mit Rang drei abgeschlossen wurde.
Einen Generationswechsel brachte das Jahr 1993. Walter Hettich machte nach 12 Jahren als erfolgreicher erster Vorsitzender den Weg für den 26-jährigen Bernhard Lamprecht frei. In souveräner Manier wurde die Mannschaft, die inzwischen von Janosch Pajak trainiert wurde, 1994 Meister der Bezirksliga Schwarzwald-Alb-Bodensee. Als im Januar 1995 beide Aufstiegskämpfe gegen die Bundesligareserve des ASV Kornwestheim verloren gingen, hatte man sich bereits damit abgefunden, den Aufstieg um ein Jahr zu verschieben. Doch der Vizepräsident Sport des Württembergischen Ringerverbandes, Martin Dassler, recherchierte in seiner Funktion bei den Salamanderstädtern nach und annullierte die Kämpfe von Karlheinz Kreuzberger und Raik Stichling. Diese hatten eine Woche zuvor in der ersten Mannschaft in Triberg gerungen und waren deshalb nicht startberechtigt. Mit diesen acht Punkten am „grünen Tisch“ änderte sich das Gesamtergebnis zugunsten des Athletenvereins Sulgen und er kehrte dadurch ins Württembergische Unterhaus zurück. Am Saisonende musste der AV Sulgen wieder in die Relegation. Gegen den VfL Winterbach gingen beide Kämpfe verloren, gegen den ASV Nendingen II behauptete man sich. Dies sollte für den Klassenverbleib zunächst nicht reichen, doch dann kam unverhofft Hilfe aus der Talstadt. Der AB Schramberg zog seine Mannschaft aus der Verbandsliga zurück, dadurch konnten die Bergstädter in der Landesliga verbleiben.
Mit Trainer Wendelin Allgaier aus Hofstetten, Sascha Pfeifer und Bruno Hettich vom AB Aichhalden sowie Thomas Moosmann und Swen Richter vom AB Schramberg wurde 1996 eine neue Ära eingeläutet. Die Sulgener starteten als haushoher Favorit in die Saison, wurden ungeschlagen mit Glanz und Gloria drei Kampftage vor Saisonende Landesligameister und stiegen in die Verbandsliga auf. Die Formkurve der Ringer zeigte weiter steil nach oben, auch bei Einzelmeisterschaften auf Bezirks- und Landesebene trugen sich immer wieder junge Ringer des AV Sulgen ganz oben in die Siegerlisten ein, nahmen sogar bei Deutschen Meisterschaften teil und machten den Schramberger Stadtteil weit über die Kreis- und Landesgrenzen hinaus bekannt. 1995 gab Hans Rohrer, der durch seinen Sohn Philipp zu den Sulgener Ringern stieß, mit 37 Jahren als ausgesprochener Späteinsteiger seinen Einstand im Lokalderby gegen den AV Hardt auf der Matte, das seinesgleichen sucht. Zwar verlor er diesen Kampf gegen den erfahrenen Wolfgang Jauch, doch schon bald gehörte er zur Stammformation in der ersten Mannschaft und errang im Schwergewicht viele wichtige Siege. 1999 gab es für ihn dann ein sportliches Erlebnis, welches Ringern nur sehr selten beschert wird. Er rang zusammen mit Philipp in der ersten Mannschaft und mit der maximalen Ausbeute von acht Punkten war das Duo ein Garant für den Sieg gegen den hohen Favoriten TSV Musberg. Seit 2000 wird Hans Rohrer als 11.Vorstand des Athletenvereins Sulgen geführt.
In den 90er Jahren erlebte der Ringkampfsport weltweit durch die Frauen neue Belebung. Auch in Sulgen hatten Mädchen Spaß am Ringsport gefunden und zeitweise standen in der Sulgener Jugendstaffel, die zunächst aus einer Kampfgemeinschaft mit Schramberg bestand und seit 1988/89 auf eigenen Beinen steht, bis zu fünf Amazonen in der Mannschaftsaufstellung. Im Jahre 2000 schrieb Corina Herzog, Tochter von Lothar Herzog, die ruhmreiche Geschichte des Athletenvereins weiter, in dem sie im sächsischen Gelenau den ersten Deutschen Jugend-Meistertitel für den AV Sulgen holte. Sie wurde bei ihrer Rückkehr von einer großen Fangemeinde mit einem Transparent begeistert empfangen und gefeiert. Dieser Erfolg war auch Oberbürgermeister Herbert O. Zinell nicht entgangen und er empfing die junge Frau im Rathaus zu einer Feierstunde. Weitere Medaillen von Ringern und Ringerinnen auf Deutschen Meisterschaften folgten und immer wieder standen Sulgener Athleten bei Ländervergleichskämpfen im Aufgebot des Württembergischen Ringerverbandes. Mit der Verpflichtung von Klaus Hübner aus Niedereschach, jahrelanger Erfolgsgarant als Ringer des SV Triberg und KSV Haslach, verband die Vorstandschaft des AV Sulgen ein großes und ehrgeiziges Ziel: Der erstmalige Aufstieg ins württembergische Oberhaus bis zum Jubiläumsjahr 2005. Schon zwei Jahre früher wurde dieses Vorhaben in die Tat umgesetzt. Obwohl der Finalkampf um die Verbandsligameisterschaft gegen den TSV Benningen vor einer Rekordkulisse von über 400 Zuschauern mit 15:19,5 verloren ging, stiegen die Sulgener als Vizemeister in die Oberliga auf. Heuer klopfte sogar die Reservemannschaft an die Tür zur Landesliga. Nur durch den Rückzug des VfL Neckargartach blieb ihr der Aufstieg versagt
Trotz der glorreichen Erfolgsserie in den vergangenen zwei Jahrzehnten wurde der Blick zur Realität nie verloren. Mit einer soliden Finanzpolitik, der tatkräftigen Mithilfe der hiesigen Geschäftswelt und der Vereinsmitglieder wurden größere Investitionen wie neue Ringermatten und weiteres Inventar für Festivitäten getätigt, zudem wurde 1995 eine Holzfesthütte in Eigenregie gezimmert. Finanziell steht der 250 Mitglieder starke Verein, der heute wie ein kleines Unternehmen geführt werden muss, auf gesunden Beinen und kann optimistisch in die Zukunft blicken. Der Schwerpunkt der Vereinsarbeit wird heute von der Führungsmannschaft des Athletenvereins Sulgen mehr denn je auf die Jugendarbeit gelegt, obwohl diese aufgrund von konkurrierenden Sportvereinen und der immensen Freizeitmöglichkeiten immer schwieriger und immer umfangreicher wird. Um Kinder bereits im Vorschulalter an den Verein zu binden, wurde 2000 eine Bambinigruppe aus der Taufe gehoben. Der sportliche Neubeginn 1981 wurde auch statistisch in einer „Ewigen Liste“ festgehalten.
Unvergessen: Josef Dierberger, geboren am 31.Januar 1899, war für den Athletenverein Sulgen eine Ausnahmeerscheinung und Multitalent gleichermaßen. Er machte sich nicht nur als Gewichtheber einen Namen, sondern konnte auch mit den Jonglierkugeln meisterhaft umgehen und stand zudem einige Jahre als Ringer seinen Mann. Bis heute in unerreichbare Ferne bleiben seine 50 Jahre Funktionärstätigkeit als Schriftführer. Josef Dierberger starb am 07.Januar 1992, kurz vor seinem 93. Geburtstag.